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Dave Tippett – eine Bilanz seiner Zeit bei den Oilers

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Photo credit:MATT KARTOZIAN-USA TODAY SPORTS
Bjoern
By Bjoern
2 years ago
Dave Tippett wurde vor ein paar Tagen von seinen Aufgaben als Headcoach der Edmonton Oilers entbunden. Wir haben in diesem Podcast bereits über seine Entlassung diskutiert. Jetzt, mit ein paar Tagen Abstand, folgt nochmal eine schriftliche Zusammenfassung und Analyse seiner Zeit bei den Oilers.

Die Ausgangssituation

Dave Tippett wurde vor der Saison 2019/2020 als Headcoach vom damals neuen GM Ken Holland verpflichtet, nachdem zunächst Todd McLellan entlassen wurde und auch Ken Hitchcock die Oilers nicht zurück in die Erfolgsspur bringen konnte. Tippett übernahm ein Team, das gerade eine furchtbare Saison mit nur 79 Punkten auf Platz 25 der NHL beendet hatte und an Nummer 8 draften durfte bzw. musste. Mit ihm holten sich die Oilers einen erfahrenen, anerkannten und durchaus erfolgreichen Coach. Von Beginn an war allerdings Skepsis angesagt, ob denn sein eher defensiver Spielstil und seine Vorliebe für erfahrene Spieler zu den Oilers passt, die ja zahlreiche aufstrebende Talente einbauen mussten und alleine wegen McDavid und Draisaitl eher offensiv ausgerichtet sein sollten.

Die ersten Maßnahmen

Coach Tippett wollte im ersten Jahr vor allem die Tordifferenz von zuletzt -42 sowie die Special Teams (Nr. 9 im PP und Nr. 30 im PK) verbessern. GM Holland sprach davon, dass man hoffentlich sofort um die Playoffs mitspielen kann und auf einen Wildcard-Platz schielen würde. Dazu wurden Spieler wie James Neal, Riley Sheahan, Josh Archibald, Gaetan Haas, Marcus Granlund oder Mike Smith verpflichtet.

Erste Saison

Es handelte sich um die Saison, die wegen des weltweiten Corona-Ausbruchs vorzeitig beendet werden musste. Unsere Reisegruppe mit 26 Personen (über die Facebook-Gruppe Edmonton Oilers Fans Germany organisiert) war zu diesem Zeitpunkt live in Edmonton vor Ort!
Die Regular Season wurde mit einer Tordifferenz von +8 auf dem 2. Platz der Pacific Division beendet. Im PP war man die Nr. 1 und im PK die Nr. 2 der gesamten NHL.
Sämtliche Saisonziele in Year 1 wurden deutlich übertroffen!
Durch die Erfolge in der Regular Season sind natürlich auch die Ansprüche schnell gestiegen. Zudem wurden die Playoffs in einer Bubble in Edmonton ausgetragen, was allgemein als großer Vorteil für die Oilers betrachtet wurde. Gegen die Chicago Blackhawks in den sog. Play-Ins, einer einmaligen, coronabedingten Playoff-Vorrunde, war man deutlicher Favorit. Doch aus unerfindlichen Gründen spielten die Oilers völlig gehemmt und schieden sang- und klanglos mit einer Bilanz von 1:3 Siegen aus. Damals wurde erstmals deutliche Kritik an Dave Tippett laut. Bis heute weiß niemand, warum er ausgerechnet für diese Spiele die “DYNamite-Reihe” Draisaitl, Yamamoto, Nugent-Hopkins getrennt hat, die in der Regular Season als Beste der gesamten NHL galt und regelmäßig offensiv wie defensiv dominiert hatte.

Zweite Saison

Für die zweite Saison wurde das Ziel formuliert, die Defense zu stabilisieren, nachdem man trotz der Erfolge immer noch 3,03 Tore pro Spiel kassiert hatte. Außerdem sollte das Spiel im 5gg5 verbessert werden, da man doch sehr stark von den Special Teams abhängig war. Denn im 5gg5 war das Torverhältnis immer noch negativ bei -16. Dazu wurden Spieler wie Kyle Turris, Dominik Kahun, Jesse Puljujärvi oder Tyson Barrie verpflichtet.
Coronabedingt wurde diese Saison nur innerhalb der sog. “North Division” gespielt. Gegner waren ausschließlich die kanadischen Teams und das gleich 8 oder 9 Mal. Die Statistiken sind daher nicht soooo vergleichbar wie sonst. Die Oilers beendeten die Saison auf Platz 2 der Division hinter den Toronto Maple Leafs. Die Defense wurde nur leicht auf 2,98 Gegentore pro Spiel verbessert, die Bilanz im 5gg5 wurde auf -1 verbessert, was aber immer noch nicht wirklich gut ist.

Warum ist das 5gg5 so wichtig?

In den Playoffs werden viel weniger Strafzeiten verteilt, als in der Regular Season. Um also in den Playoffs erfolgreich zu sein, braucht man mindestens ein solides und verlässliches Spiel im 5gg5. Das hatten die Oilers mal wieder nicht. In der ersten Runde verlor man gegen die Winnipeg Jets alle 4 Spiele. Zwar knapp und oft sogar in der Verlängerung, aber eben unter dem Strich 0:4. Dave Tippett wurde von seinem Gegenüber bei den Jets, Paul Maurice, outgecoacht. Die Jets konnten die Oilers zum einen mit ihrer veränderten Spielweise im Vergleich zur Regular Season überraschen, zum anderen setzten sie ihr Lineup ausgeglichener ein und waren in den entscheidenden Situationen einfach frischer. Dass sie natürlich auch den klar besseren Goalie hatten, sei hier nur am Rande erwähnt.

Offseason Diskussion: Ist Tippett noch der Richtige?

Nach dem Sweep durch die Winnipeg Jets saß der Stachel bei allen Beteiligten tief. In den Exit-Interviews der Spieler war dies genauso zu spüren, wie in den Medien und bei den Fans. Auch wir von Oilersnation  Germany stellten uns in diversen Diskussionen die Frage, ob Dave Tippett wirklich der Trainer sein kann, der die Oilers zum Stanley Cup oder zumindest näher an dieses große Ziel bringt. Wieviel Schuld trug Tippett am erneuten Scheitern? Wieviel die Spieler? Wieviel der GM? Wir waren uns dann einig, dass man diesmal mindestens in die zweite Runde der Playoffs kommen müsste, um Tippett zu behalten.

Dritte Saison

Erstmals seit einer Ewigkeit hatten die Oilers in der Offseason ein bisschen Cap zur Verfügung, um den Kader nachhaltig zu verstärken. GM Holland hat bekannt gegeben, dass man schwerer zu bespielen sein möchte und vor dem gegnerischen Tor mehr Präsenz zeigen wolle. Dafür wurden Zach Hyman und Warren Foegele verpflichtet. Dazu Center Derek Ryan bzw. die erfahrenen Verteidiger Cody Ceci und Duncan Keith.
Die Kritik an Dave Tippett verstummte, als man die Saison mit einer Rekordbilanz von 9:1 Siegen startete. Die dann folgende Krise nahm allerdings Ausmaße an, die schnell und laut Rufe nach einer Veränderung hörbar machten. Dass die Gründe zu einem sehr großen Teil am teaminternen Corona-Ausbruch sowie weiteren Verletzungen lagen, geriet dabei ziemlich in den Hintergrund. Genauso, dass der Coach relativ wenig zur Formschwäche unserer Goalies kann.

Das Ende der Ära Tippett

Die Krise wollte einfach kein Ende nehmen. Man kassierte in 15 Spielen am Stück das erste Gegentor. Ganz oft kämpfte sich das Team zurück und im Schlussdrittel stand es meist unentschieden. Trotzdem wurden nahezu alle diese Spiele verloren. Tippett wurde dünnhäutiger. Er kritisierte beispielsweise Goalie Koskinen öffentlich oder setzte den jungen Samorukov in seinem NHL-Debüt nach zwei (zugegebenermaßen katastrophalen Shifts) das komplette restliche Spiel auf die Bank. In dieser Phase verloren auch die letzten Tippett-Fans das Vertrauen in den Oilers-Coach. Er würde unmöglich der Trainer sein, der das Team mit einem Plan aus der Krise führen kann. Von einem Playoffrun sprachen damals nur noch die aller wenigsten. GM Holland hielt zwar noch einmal demonstrativ zu Tippett und eine Serie von fünf Siegen vertagte die Entlassung Mitte Januar. Doch die beiden blutleeren Auftritte nach dem Allstar-Break führten letztlich jetzt zu diesem unausweichlichen Schritt.

Der Coach und der Mensch Dave Tippett

Zunächst einmal gilt Tippett als freundlich, kommunikativ und beliebt bei allen, mit denen er gearbeitet hat. Emily Cave, die Witwe des verstobenen Oilers Spielers Colby Cave beispielsweise erinnerte jetzt, in den Tagen seiner Entlassung daran, dass er ihr stets eine große Hilfe in ihrer Trauer war und immer noch ist. Bei allem Streben nach Erfolg und dem “Business NHL” wurde dennoch einem Menschen der Job gekündigt. Jeder, der schon einmal eine Kündigung erhalten hat weiß, dass das kein sehr angenehmes Gefühl ist.
Dennoch hat Tippett die Oilers in zweieinhalb Jahren nicht dorthin geführt, wo sie stehen sollten. Und dann greifen einfach (oder leider) die Mechanismen im Sportgeschäft und der Trainer als schwächstes Glied wird ausgetauscht. Dave Tippett ist immerhin der Coach mit dem 18. meisten Spielen in der NHL-Geschichte und auch den 18. meisten Siegen! Also auf keinen Fall ein schlechter Coach, wie zuletzt sehr häufig zu hören und zu lesen war.

Die größten Vorwürfe seiner Trainertätigkeit

1. Tippett gilt als Oldschool Coach mit sturen Prinzipen. Jüngere und modernere Trainer agieren heute meist flexibler.
2. Das sture Setzen auf Role Player bzw. Spezialisten, beispielsweise im PK, führt dazu, dass die Eiszeiten in der Mannschaft sehr unausgeglichen verteilt waren.
3. Seine Reihenkombinationen sorgten häufig für Kopfschütteln auf breiter Ebene. Seine vorschnellen Änderungen im Spiel sobald etwas nicht geklappt hat und häufige Wechsel von Spiel zu Spiel, waren es aber, was die meisten Fans zur Weißglut brachten.
4. Ich habe eingangs geschrieben, dass Tippett gerne auf Erfahrung setzt. War er daher von Anfang an der Falsche? Die Oilers haben so viele Talente mit weniger als 200 NHL-Spielen, die gefördert, gefordert und entwickelt werden müssen. Das hat Tippett aber komplett ignoriert. Die jungen Spieler kamen auf ganz wenig Spielzeit und so gut wie gar nicht in entscheidenden Situationen oder in den Special Teams.
5. Ein Spielkonzept im 5gg5 war auch im dritten Jahr noch nicht zu erkennen. Selbst wenn die Playoffs erreicht werden, steht man erneut vor dem Problem, dass andere Teams uns entschlüsseln und im 5gg5 besiegen können.
Unter dem Strich also sportlich die einzig richtige Entscheidung! Aber es sei zum Abschluss deutlich gesagt, dass wir uns bei Dave Tippett für die Arbeit der letzten Jahre als Oilers Headcoach bedanken und ihm gemeinsam mit seiner Frau Wendy alles Gute wünschen!

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