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Eine unvollendete Legende – Eric Lindros
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Photo credit: Don Heupel, AP, USA TODAY
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Dec 30, 2024, 10:18 EST
Es ist der 26. Mai im Jahre 2000. Die Philadelphia Flyers stehen im Eastern-Conference-Finale im entscheidenden Spiel 7 und kämpfen um den Einzug ins Stanley-Cup-Finale. Im heimischen First Union Center sind die New Jersey Devils zu Gast, die ihrerseits die Spiele 5 und 6 gewonnen haben. Eine Truppe voller Stars, wie der legendäre Goalie Martin Brodeur, der tschechische Flügelflitzer Patrik Elias, Jason Arnott, 1993 von den Oilers gedraftet und später getradet, oder die Verteidigerlegende Scott Niedermayer. Und natürlich der Kapitän der Devils, Scott Stevens. Ein beinharter Verteidiger, der am Ende seiner erfolgreichen Karriere 1635 NHL-Spiele absolviert haben wird.
Gut acht Minuten sind gespielt, es ist der 4. Wechsel für Eric Lindros, der einen Puck in der eigenen Hälfte abfängt und versucht den Puck schnell ins Angriffsdrittel zu bringen. Er schaut nach vorn, er schaut nach rechts zu seinem kongenialen Reihenkollegen John Leclair, er schaut nach unten und aus. Aus! Die Lichter gehen aus, oben ist unten, Pfiffe, Geschrei auf dem Eis, ein Raunen, eine Vorahnung geht durch das gesamte Stadion. Es wird still. Der ESPN Kommentar beschreibt das Geschehen so:
“Here’s 88. Lindros makes the move! And Lindros is hammered down to the ice by Scott Stevens! And Lindros remains down on the ice as all the other players come together! Oh boy, oh boy, this is the worst case scenario here!”
Und dieses worst case Szenario sollte die beschriebene Szene tatsächlich sein. Für die Flyers, die das Spiel verloren und den Devils beim späteren Gewinn des Stanley Cups zusehen mussten (4:2 gegen die Dallas Stars) und für Lindros selbst, der mit diesem üblen Ellbogencheck gegen den Kopf eine weitere Gehirnerschütterung erlitt. Er spielte erst die zweite Partie nach gut 8 Wochen, nachdem er im März mit der selben Kopfverletzung ausfiel. Lindros verpasste die komplette Saison 2000-01 und überwarf sich mit dem Flyers-Management, woraus der Trade zu den New York Rangers resultierte. Er sollte nie wieder an sein Level herankommen. Doch der Reihe nach:

Vor dem Draft: “The Next One”

Schon in jungen Jahren hob er sich durch seinen Körper, seine Schnelligkeit und sein Können von seinen Mitspielern ab, was ihm den Spitznamen „The Next One“ einbrachte, eine Anspielung auf sein Potenzial, in die Fußstapfen von Wayne Gretzky zu treten. Lindros dominierte auf allen Ebenen, von seiner Juniorenkarriere bei den Oshawa Generals in der OHL, wo er das Team 1990 zum Sieg beim Memorial Cup führte, bis hin zu seinen Auftritten in Kanadas Juniorenteams. Als der NHL-Draft 1991 näher rückte, galt Lindros als “Generational Talent”, als ein seltener Spieler, der im Alleingang das Schicksal einer Franchise verändern könnte. Doch je mehr das Rampenlicht auf ihn fiel, desto kontroverser wurde sein NHL-Einstieg diskutiert, was zu einem der dramatischsten Momente der Eishockeygeschichte führte.

Der Draft: Drama, Baby!

1991 war Eric Lindros die klare, logische erste Wahl, doch als die Quebec Nordiques ihn auswählten, weigerte er sich sofort, das obligatorische Trikot auf der Bühne anzuziehen. Lindros hatte seinen Unwillen, für Quebec zu spielen, deutlich zum Ausdruck gebracht. Er begründete dies mit dem schlechten Management des Teams und seinem Wunsch, sich einem englischsprachigen Markt anzuschließen. Trotz seiner Verpflichtung spielte Lindros weiterhin für Oshawa in der OHL, so dass Quebec keine andere Wahl hatte, als alle Trade-Optionen durchzugehen.

Der Trade: eine Aufschlüsselung

Die Tradeverhandlungen führten zu einem der umstrittensten Momente in der Geschichte der NHL. Die Nordiques einigten sich sowohl mit den Philadelphia Flyers als auch mit den New York Rangers, was zu einem Streit führte, der ein Schiedsgericht erforderte. Am Ende entschied das Schiedsgericht zugunsten der Flyers, doch der Preis dafür war hoch.
Im Gegenzug für Lindros erhielt Quebec:
Peter Forsberg (zukünftiger Hall of Famer), Ron Hextall (Star-Torhüter), Mike Ricci (talentierter Stürmer), Steve Duchesne (solider Verteidiger), Kerry Huffman (Defensivspieler), Chris Simon (Stürmer, bekannt für seine Härte), zwei Draft Picks in der ersten Runde (1993, 1994) und 15 Millionen Dollar.
Dieser Trade veränderte beide Vereine immens. Lindros wurde zum Herzstück in Philadelphia, während die Nordiques später nach Denver, Colorado umzogen und in Avalanche umbenannt wurden. Die Avs bauten vor allem um Peter Forsberg ein Team, das zwei Stanley Cups gewinnen sollte.

Nach dem Trade: Dominanz

Lindros machte in Philadelphia schnell von sich reden. Seine einzigartige Kombination aus Kraft, spielerischer Fähigkeit und Körperlichkeit definierte die Rolle des Power Forward in der NHL neu. Im Jahr 1995 gewann er die Hart Trophy als wertvollster Spieler der Liga. Im Jahr 1997 führte er die Flyers ins Stanley-Cup-Finale, wo sie allerdings von den Detroit Red Wings geschlagen wurden. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war Lindros ein dominanter Spieler, der das Spiel auf beiden Seiten des Eises kontrollieren konnte.
Sein aggressiver Stil machte ihn jedoch anfällig für Verletzungen, insbesondere Gehirnerschütterungen, die seine Karriere überschatten sollten.

Der Check: der Moment, der die Karriere veränderte

Die Szene als solches wurde eingangs bereits beschrieben, aber natürlich muss angefügt werden, dass Scott Stevens für dieses überharte Einsteigen nicht einmal eine Strafe erhalten hat. Heutzutage würde dieses Einsteigen eine lange Sperre nach sich ziehen, aber gerade in den 1990’ern und 2000’ern herrschte ein anderer Umgang mit derartigen Checks und Unsportlichkeiten. Früher glaubte man, die Fans in den Arenen zahlten für derartige Spektakel, aber heute weiß man: die Zuschauerzahlen sind höher als vor 20 Jahren, das Eishockey ist attraktiver geworden, viel mehr kleinere, schnellere Spieler setzen sich durch. Das war früher eine Seltenheit.
Das Thema CTE (Chronisch-traumatische Enzephalopathie), oder auch Boxer-Syndrom genannt und Selbstmorde in der NHL bedarf einen separaten Artikel, aber vor allem das dramatische Jahr 2011, in dem gleich drei NHL-Spieler, die für ihren aggressiven Stil bekannt waren, verstarben, muss leider erwähnt werden. Wade Belak und Rick Rypien litten unter starken Depressionen und begangen Selbstmord, Derek Boogaard verstarb an einer versehentlichen Überdosis an Medikamenten und Alkohol. Nachdem seine Familie einwilligte, sein Hirn für CTE-Studien zur Verfügung zu stellen, wurden massivste und überdurchschnittliche Schäden festgestellt. Auch er litt unter Depressionen.

Der Trade 2.0: New York, New York!

Während Lindros, resultierend aus seiner vierten Gehirnerschütterung in nur drei Jahren, wie beschrieben, die gesamte Spielzeit 2000-01 aussetzte, eskalierte der Streit zwischen den Flyers und dem Lindros-Lager. Das Lindros-Lager war in der Öffentlichkeit selten Eric selbst, sondern viel mehr seine Eltern, die sich sorgten. Auf der anderen Seite stand vor allem Bobby Clarke, seinerzeit General Manager der Flyers. John Leclair berichtete später:
 “When Eric was getting concussions, they were like, ‘Give him a couple of days, and he’ll be fine,’ ”
Im August 2001 kam dann der Trade mit den Rangers zustande, indem Jan Hlavac, Kim Johnsson, Pavel Brendl und ein Drittrundenpick aus dem Draft 2003 nach Philadelphia wechselten. Seine Leistungen waren gut, an manchen Abenden auch sehr gut, aber er konnte nicht an sein Niveau aus vergangenen Tagen – vor dem Check im Mai 2000 – anknüpfen. In Philadelphia war man weiterhin uneinsichtig, auch Monate nach dem Trade. Bobby Clarke fasste schmallippig zusammen:
“I don’t care if I talk to Eric for the rest of my life — it won’t kill me,”
Nach drei Spielzeiten in New York unterschrieb Lindros jeweils für ein Jahr bei den Toronto Maple Leafs und zuletzt bei den Dallas Stars.

Das Ende: leise, still und unvollendet

Lindros hatte seine Karriere als das am meisten gehypte Nachwuchstalent in der Geschichte der NHL begonnen. Er beendete sie als Rollenspieler in Dallas. Als er das Eis für Spiel 7 der Erstrundenserie gegen die Vancouver Canucks betrat, hatte er widersprüchliche Gedanken: Er wollte, dass die Saison weitergeht, aber er wollte auch, dass seine Karriere zu Ende geht.
“I couldn’t believe it came to that,”…“I knew it was my last game. I wasn’t having fun.”
Die Stars verloren 4:1. Eine großartige, aber von Verletzungen geplagte Karriere endete. Eric Lindros hat in nur 760 NHL-Spielen in 15 Jahren 865 Punkte erzielt. Zusammen mit John Leclair und Mikael Renberg spielte Lindros drei Spielzeiten in der sogenannten “Legion Of Doom”, einer Reihe die in zwei Spielzeiten knapp 500 Punkte erzielte. Er gewann den Memorial Cup, wurde Olympiasieger, gewann die Hart Trophy und den Ted Lindsey Award, aber Stanley Cup Champion wurde er nie.
Immerhin gab es ein versöhnliches Ende: die Flyers, die 2012 das Winter Classics gegen die New York Rangers spielten, luden Eric Lindros für das Alumni Game, dem Spiel der Legenden, ein und beide Parteien legten den Streit nieder. Auch Bobby Clarke setzte sich später dafür ein, dass Lindros in die Hockey Hall Of Fame aufgenommen wurde, in der seit 2016 vertreten ist.
Über das Alumni Game und die Versöhnung sagte Lindros:
“So much of what occurred was so long ago,”…”We’re looking at 14 almost 15 years now. It was a real honor to be invited back to that outdoor game and I had a great time at it. It was what it was and it is what it is.”
Aber natürlich gehen wir aus dieser Story mit dem wichtigsten Zitat heraus:
“I do feel fortunate to be in the health that I’m in. I feel strong, I feel good,”
Ein besseres Resümee kann es kaum geben. Auch wenn die größtmögliche Krönung dieser Karriere fehlte und seine Zeit in der NHL eine der größten what-if’s der Geschichte des Sports bleiben wird, ist Eric Lindros einer der besten Eishockeyspieler der Geschichte.

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